Die Reise der Störche 1  
                             
Anfang August packt die Störche das Reisefieber.
Die Jungvögel unternehmen immer weitere Ausflüge in der Umgebung des Nestes
und versorgen sich selbst mit Futter. Bevor sie dann endgültig die Reise in den Süden
antreten, treffen sie sich in kleineren Gruppen und warten auf trockenes, sonniges Wetter. Die Storchenkinder lernen die Flugroute nicht von ihren Eltern ... sie haben einen inneren Kompass.
                             
Eines Tages sind sie verschwunden und nur wenig später
folgen ihnen die Altvögel.
                             
Foto © Georg Steinhauser aus Aulendorf
                             
Die Karte der Zugrouten des Weißstorchs, zusammengesetzt aus hunderten einzelner
Ringrückmeldungen, zeigt, dass die Störche auf ihrer Wanderung in die Winterquartiere das Mittelmeer auf zwei Zugrouten strikt umfliegen.
Die so genannte „Zugscheide“, eine imaginäre Linie, trennt die Populationen in
Ost- und Westzieher. Sie verläuft von Holland zum Südwestfuß des Harzes und von dort nach Bayern bis zum Alpenfuß. Störche, die südlich und westlich dieser Zugscheide
brüten, ziehen über die Westroute, die Vögel nördlich und östlich der Linie benutzen die
östliche Zugroute. Zu beiden Seiten der Zugscheide existiert ein mehr oder weniger
breites „Zugscheiden - Mischgebiet“, aus dem Störche in wechselnder Häufigkeit in
beide Richtungen abziehen können.
                             

(Graue Felder = Winterquartiere der Störche)

  Die Westzieher überqueren, um Afrika zu
erreichen, die Straße von Gibraltar. Durch
Marokko gelangen die Westzieher nach
Mauretanien, überfliegen die
Wüstengebiete der westlichen Sahara und
erreichen schließlich ihre Überwinterungs-
gebiete in den Savannen bzw. in der
Sahelzone südlich der Sahara zwischen
Senegal und Kamerun. Ihre wichtigsten
Winterquartiere sind das Senegaltal und
- delta, das Niger-Binnendelta in Mali und
das Tschadbecken in Niger und Nigeria.
Auch die in Nordafrika brütenden Weiß -
störche überwintern in Westafrika.
Marokkanische Brutvögel überqueren
entweder die westliche Sahara zusammen
mit den europäischen Störchen, oder sie
orientieren sich mehr nach Osten und
überfliegen die zentrale Sahara zusammen
mit den algerischen Brutvögeln.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
                             
Die Störche Tunesiens folgen der gleichen Route oder aber gelangen entlang des
Grenzbereichs Algerien-Libyen direkt zum Tschadsee. Etwa 10 000 Störche halten sich
während der Wintermonate im subsaharischen Westafrika auf. Die überwältigende
Mehrzahl aller Störche gehört zu den „Ostziehern“. Die erreichen in Bulgarien das
Schwarze Meer und folgen seiner Küstenlinie nach Süden zum Bosporus. In gewaltigen
Trupps überfliegen sie in schmaler Front die Meerenge des Bosporus, überqueren nahe
Adana den Golf von Iskenderun und schwenken nach Süden, um der Mittelmeerküste
durch den Libanon und Israel zu folgen; sie überqueren die Sinai-Halbinsel und den Golf von Suez und erreichen den Afrikanischen Kontinent in Ägypten. Nahe Hurghada am Golf von Suez werden regelmäßig gewaltige Scharen von Störchen beobachtet; der größte bisher beobachtete Trupp umfasste mehr als 100 000 Vögel. Entlang des Niltals ziehen die Störche weiter nach Süden, wobei die große Nilschleife bei Dongola im Nordsudan „abgeschnitten“ und die Nubische Wüste überflogen wird. Schließlich erreichen die Vögel die Savannen im östlichen Sudan, wo sie eine etwa 3wöchige Zwischenrast einlegen.
Mit vollen Mägen, gestärkt für die Reise, setzen sie dann ihre Wanderung in breiter
Front fort, um die Wintermonate im östlichen oder südlichen Afrika zu verbringen.
                             
                             
Weißstörche legen während des Zuges täglich durchschnittlich 150 – 400 km zurück.
Ihre durchschnittliche Fluggeschwindigkeit beträgt ca. 50km/h. Von Europa bis in das
südliche Afrika sind sie etwa 2 Monate unterwegs. Der Rückweg, der auf der fast gleichen Route erfolgt, geht schneller vonstatten; angesichts der bevorstehenden Brutsaison brauchen die Vögel nur etwa 6 Wochen.
                             
                             
Nur vereinzelte Störche geraten von den beschriebenen Hauptrouten ab,
gelangen nach Sizilien und überqueren von dort aus das Mittelmeer, um am Kap Bon
in Tunesien Afrika zu erreichen. Warum der Umweg um das Mittelmeer,
wenn es schnellere Möglichkeiten gäbe, die afrikanischen Winterquartiere zu erreichen?
Die große Entfernung von 10 000 km bis nach Südafrika, können Störche nur
im Segelflug zurücklegen. Sie lassen sich von warmen Aufwinden
im kreisenden Segelflug bis in Höhen von weit über 1000 m tragen.
               
               
Ein Trupp von Hunderten oder gar Tausenden auffliegender Störche bietet ein erregendes
Schauspiel. Mit kräftigen Flügelschlägen erheben sich die Vögel vom Boden,
fliegen scheinbar ziellos im Umkreis von einigen hundert Metern umher,
finden schließlich Thermik und beginnen, mit reglos ausgebreiteten Flügeln, kreisend
aufzusteigen. Immer mehr Vögel geraten in den Aufwind und eine lebende Säule
von Störchen segelt über der hitzeflimmernden Landschaft.
                             
                             
In großer Höhe, fast schon außer Sichtweite, verlassen dann die ersten Störche
die Thermik und im flachen Gleitflug entfernen sie sich, langsam an Höhe verlierend,
über viele Kilometer. Sie erreichen dann Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 100 km/h. Weitere Vögel folgen und nach kurzer Zeit scheint es, als habe der Himmel die Vögel verschlungen. Weit entfernt finden sie dicht über dem Boden
die nächste Thermik und das Schauspiel wiederholt sich.
                             
Der größte Teil des Zugweges wird mit dieser Segelflugtechnik zurückgelegt.
Da Thermiken sich nur in der Hitze des Tages ausbilden, müssen Weißstörche
nachts rasten; sowie die Sonne untergegangen ist, fliegen sie mit schwerfällig rudernden Flügelschlägen zu einem sicheren Schlafplatz, wo sie die Nacht verbringen,
um die Reise am nächsten Morgen fortzusetzen.
                             
                             
Thermiken können nur dort entstehen, wo die Sonne das Land stark genug erwärmt,
um die Luftmassen zum Aufsteigen zu bringen. Über dem Meer, wo ununterbrochen
kühles Wasser an die Oberfläche gelangt, bilden sich keine Aufwinde.
Große Wasserflächen sind deshalb ein fast unüberwindbares Hindernis für die ziehenden Störche. Selbst beim überqueren relativ kleiner Wasserflächen, z.B. des Golfes
von Iskenderun und des Golfes von Suez, geraten die Störche in Bedrängnis.
Dicht über dem Wasser fliegen sie mit schweren Flügelschlägen der Küste entgegen
und bei ungünstigem Wetter stürzen nicht selten viele der Vögel ins Wasser und ertrinken.
                             
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